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Von schwarzen Schafen."Wer" oder "Was" steckt hinter den großen Skandalen unserer Zeit?

Autorenbild: Birgit BrucknerBirgit Bruckner

Aktualisiert: 18. Sept. 2024

Ob Wirtschaft oder Politik. Es scheint kaum eine Woche zu vergehen, in der wir nicht von neuen Skandalen, Intrigen und Unterschlagungen hören.

Wir wollen wissen: Wer ist für diese Skandale verantwortlich? So beginnt die Suche nach den schwarzen Schafen. Die Idee: Nur Menschen ohne Moral übertreten wissentlich das Gesetz und gesellschaftliche Normen. Die Lösung: Finde die Köpfe und entferne diese "schwarzen Schafe". Ist es damit tatsächlich getan? Werden große Skandale von wenigen ausgelöst? Können 11 Millionen Autos manipuliert werden und nur wenige wissen davon? Was ist mit all den anderen Menschen in den Organisationen? Wussten diese tatsächlich nichts? Oder basieren viele Übertretungen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft vielmehr auf System? Kann jeder von uns Teil dieser unmoralischen Ereignisse werden?

 

Moralische Blindheit


Die Antwort lautet ja. Tatsache ist: Nicht ausschließlich Menschen ohne Moral handeln unmoralisch. Trotz guter Absichten ist jeder von uns gefährdet ein schwarzes Schaf zu werden. Unsere Umgebung, damit auch die Struktur von Organisationen, beeinflusst unsere Wahrnehmung. Wir orientieren uns in Interpretation, Bewertung und Verhalten an Situationsfaktoren. Wir nehmen nur jenen Teil unserer Umwelt war, der im Punkt unserer Aufmerksamkeit liegt. Alles andere bleibt uns verborgen. So reduzieren wir die Komplexität unserer Außenwelt und sind handlungsfähig.

Wichtig dabei: Situationsfaktoren steuern den Punkt unserer Aufmerksamkeit und beeinflussen damit, wie wir die Außenwelt wahrnehmen und welches Verhalten wir für angebracht halten. Lenkt eine Situation unsere Aufmerksamkeit weg von moralischen Aspekten, so entsteht moralische Blindheit. In unseren Entscheidungen berücksichtigen wir nicht moralische Überlegungen. Im Moment des Entscheidens ist uns dies nicht bewusst. Oft erkennen wir erst im Rückblick, welche gesellschaftlichen Normen und Regeln wir übertreten haben.


Grafik Wahrnehmung

 







Verbinden Sie die neun Punkte durch maximal vier gerade Linien, ohne dabei den Stift abzusetzen. (Die Lösung finden Sie, wenn unten.)

 

Situationsfaktoren der moralischen Blindheit


Neben geschaffenen Strukturen in Gesellschaft und in Organisationen, können uns Faktoren wie schleichende Veränderung, Dynamik, Innovation und Routine zu einem schwarzen Schaf machen.


Shifting Baselines


Können Sie sagen, wann sich Ihr Körper wie verändert hat? Meist geschieht dies in kleinen Veränderungen, die wir kaum wahrnehmen. Eine Falte hier, ein graues Haar da. Erst im Vergleich von Fotos sehen wir das Ausmaß der Veränderung. Auch moralische Blindheit ist kein plötzlicher situativer Zustand, sondern ein sich über einen längeren Zeitraum ein schleichendes Phänomen. Moralische Werte und Ansprüche verschieben sich langsam, in für uns kaum wahrnehmbaren Einheiten. Zuerst nur ein wenig „geschummelt“. Beim nächsten Mal schon etwas mehr. Solange es gut geht, bleiben wir auf diesem Pfad und übersehen die Gesamtverschiebung. Vielleicht hat VW die Software zunächst nur in einem Modell eingebaut. Schritt für Schritt, in über 11 Millionen Autos.


Dynamik und Innovation


In vergangenen Jahrzenten bildeten Tradition, Rollenbilder und gesellschaftliche Strukturen klare moralische Grenzen. Heute sind diese Grenzen und Strukturen verschwommen. Unterschiedliche Modelle existieren parallel und gesellschaftliche Regeln unterliegen einem schnellen Wandel.

Ganze Organisationen und Branchen befinden sich in Umbrüchen. In Phasen hoher Dynamik gehen vertraute Denk- und Handlungsmuster verloren, die Unsicherheit steigt. In diesem Klima können moralische Aspekte schnell in den Hintergrund rücken. Das Handeln wird an wenigen Faktoren wie Marktanteile, Umsatzsteigerung und Gewinnmaximierung ausgerichtet.

Ein gutes Beispiel ist die Phase der New Economy. Es herrschte Aufbruchsstimmung und die Einstellung "Anything goes" prägte das unternehmerische Denken. Die Regeln der Old Economy wurden als überholt betrachtet. Reglementierung und staatliche Aufsicht galten als hinderlich und nachteilig.

Internationaler Wettbewerb, Margendruck und steigende Anforderungen in Schadstoffreduktion und Treibstoffverbrauch. Vielleicht jener Cocktail, der die Aufmerksamkeit von VW-Managern auf Marktanteile und weniger auf moralische Aspekte gelenkt hat.

 

Sklave der Routine


Je reibungsloser Prozesse funktionieren, desto unkritischer betrachten wir diese. Doch was gestern erfolgreich war, ist heute gut genug und kann morgen zu wenig sein. Unhinterfragte Prozesse bergen aus ökonomischer wie moralischer Sicht Risiken.

Auch bei Volkswagen war die fragliche Software schon länger in den Produktionsprozess integriert. Wurde darüber noch diskutiert oder war der Einbau bereits Routine?


Perspektivenwechsel


Was kann jeder von uns tun, um der moralischen Blindheit vorzubeugen?


Grafik Wahrnehmung

 






Die Lösung des "nine-dot Problems" liegt außerhalb der gedanklichen Grenzen des Feldes.

 

Das Punktebeispiel zeigt die Lösung: Die gewohnte Betrachtungsweise muss verändert werden, um die Aufgabe zu lösen. Um moralische Blindheit vorzubeugen gilt es die gegenwärtige Perspektive zu erkennen und Grenzen auszuloten und zu überschreiten.

 

Dabei helfen konkrete Fragen:

  • Welche Annahmen liegen meiner Wahrnehmung zu Grunde?

  • Was spricht gegen diese Annahmen?

  • Wie könnte man die Situation noch betrachten? Wie würde Person X vorgehen?

  • Welche Moral liegt der aktuellen Entscheidung zugrunde?

 

Neben diesen Faktoren führen soziale Aspekte, wie Gruppendruck und Autoritätshörigkeit, sowie Struktur und Kultur von Organisationen zu unmoralischem Verhalten. Hauptverantwortlich in Organisationen sind Bonussysteme, die Art der Leistungsmessung und Verantwortungsdiffusion.

 

Nicht die schwarzen Schafe


Somit gelingt die Prävention vor unmoralischen Geschäftsentwicklungen nicht durch die Identifikation und Eliminierung schwarzer Schafe. Vielmehr bedarf es einer bewussten Gestaltung der Organisationsstruktur.

Klassische Compliance Systeme gehen vom Modell des schwarzen Schafes aus. Sie versuchen über Kontrolle und Strafe Regelbrüche zu unterbinden. Wie die jüngste Serie an Wirtschaftsskandalen zeigt mit mäßigem Erfolg.

Eine wirkliche Gegenstrategie ist die kritische Betrachtung der eigenen Organisationskultur und Struktur. Förderliche Bedingungen für moralische Blindheit können erkannt und meist einfach behoben werden.

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